Die 32. Nuit de la Chanson bot am Samstag im Kammgarn-Wohnzimmer einen unwiederbringlich
bezaubernden Abend. Die beiden Gäste aus Nürnberg, die Chansonnière Dany Tollemer und deren
Pianistin Maryna Dorf, eroberten die Herzen der begeisterten Besucher im Flug.
Liebe Mädchen kommen in den Himmel, böse Mädchen überall hin, sagt man. Nein, die junge
Französin Dany Tollemer ist gewiss nicht frech, aber mit ihrem burschikosen, charmanten Auftreten,
das ihre schauspielerisch geschulte Mimik noch zusätzlich spiegelt, und mit ihrer unbekümmerten,
natürlichen Art zu singen gewann sie auf Anhieb die Zuhörer. Ihr Markenzeichen liegt in ihrer
facettenreichen Stimme und in ihrem komödiantischen Talent. Mit Leichtigkeit und einer
riesengroßen Portion Charme setzte sie sich über die seit Jahrzehnten verfestigten Klischees, den
Geruch von Rauch und alten Schuhen, hinweg, ohne die Geschichte des französischen Chansons von
Charles Aznavour bis Jacques Brel zu diskreditieren. Tollemer präsentierte eine Welt jenseits der
Bilder pittoresker Tristesse.
Mit dem einzigartigen Esprit einer jungen Vollblutsängerin – typisch französisch halt – und einer
emotionalen Ausdruckskraft ohne Exzentrik intonierte die aus Châtellerault stammende Sängerin
viele bekannte Chansons aus ihren Alben „Sous le ciel de Paris“ und „Les lilas“. Darunter „Raphael“
von Carla Bruni, „Nathalie“ von Gilbert Bécaud, „For me, formidable“ von Charles Aznavour oder
„Alphonse“ von Lynda Lemay. Mit leicht gefärbtem französischem Akzent be- und umschrieb der
französische Wirbelwind zudem den Inhalt und die Botschaft ihrer Lieder, und ihre witzigen
deutschsprachigen Einfälle und Kommentare ließen das Publikum auch an Sinn und Unsinn der
Chansons teilhaben. Eine junge, frische Engelsstimme mit lebendigem Mienen- und Gestenspiel. Sie
tänzelte dazu, drehte sich elegant um die eigene Achse, kokettierte mit dem Publikum. So macht sie
aus jedem Song ein Ereignis. Großartig ihre individuelle Interpretation von Jacques Brels „La Chanson
des vieux amants“, dem sie mit ihrer präzisen Artikulation, der markanten Betonung und mit ihrer
nuancierten, komödiantisch dynamischen Ausdruckskraft ein ganz neues Gesicht gab. Mit „Le jazz et
la java“ von Claude Nougaro und „Je veux“ von Zaz griff Dany Tollemer auch auf Stilmittel des
Jazzgesangs und afro-amerikanischer Rhythmik zurück und verfremdete damit ihre Chansons. Aber
auch mit ihren eigenen Chansons konnte sie punkten.
Was außerdem positiv auffiel, war die pointierte und profilierte, selbständige, aber nie vorlaute
Klavierbegleitung der aus der Ukraine stammenden Maryna Dorf. Sie traf genau die richtige Mitte
zwischen Präsenz und Assistenz.
Dem „Spatz von Nürnberg“ setzte die franko-vietnamesische Sängerin Pauline Ngoc ihre kraftvolle,
dunkel gefärbte Samtstimme entgegen. Auch sie gefiel mit profunder Musikalität und
Professionalität. Mit dem Tango „La Cumparsita“ von Gerardo Matos Rodriguez, dem Walzer „La
Dernière Valse“ von Mireille Mathieu oder „Yellow Bird“ von Harry Belafonte wusste sie ebenso zu
begeistern wie mit Liedern von Dalida. Bei „Honky Tonk Women“ von den Rolling Stones und „Stand
by me“ tanzte sie außer Rand und Band.
Formidable auch die Band um Martin Preiser. Groß in Form der Pianist mit seiner hohen
Anschlagskultur und seiner pianistischen Brillanz, der Bassist Wolfgang Janischowski mit seinem
ausdrucksvollen, großen Ton, Vincenzo Carduccio am Akkordeon mit seinen herrlich melodienreichen
Ausflügen und Michael Lakatos mit virtuosem, differenziertem Spiel am Schlagzeug. Ein durch und
durch gelungener Abend, den Ina Bartenschlager mit einführenden Informationen über Komponisten
und Sängerinnen mit brillanter französisch-deutscher Aussprache abrundete. „Lasst eure Sorgen“,
forderte sie auf, „lasst sie einfach vor der Tür!“ Das war dem Ensemble bestens gelungen. Dazu
lieferte das Kammgarn-Team um Werner Herzog einen hervorragenden Sound und tauchte die
Bühne in punktuell, anschmeichelnde, warme Lichttöne. Auch die großartige Bilder-Ausstellung in
der Schreinerei, die während der Konzerte immer geöffnet ist, sollte man keineswegs versäumen.
von Walter Falk, die Rheinpfalz